- Physiknobelpreis 1993: Russel Alan Hulse — Joseph Taylor
- Physiknobelpreis 1993: Russel Alan Hulse — Joseph TaylorDie beiden Physiker zeigten mit der Entdeckung eines neuen Typs von Pulsar neue Möglichkeiten für das Studium der Gravitation.BiografienRussel Alan Hulse, * New York 28. 11. 1950; seit 1984 Professor in Princeton, Arbeiten zu Schwerkraft, Kernfusion und Plasmaphysik.Joseph Hooton Taylor, * Philadelphia 29. 3. 1941; ab 1974 Professor an der University of Massachusetts in Amherst, zuletzt in Princeton.Würdigung der preisgekrönten LeistungPulsare sind wichtige Forschungsobjekte der Physik. Der erste Pulsar ist 1967 von dem englischen Astronomen Antony Hewish (Nobelpreis 1974) und seinen Mitarbeitern entdeckt worden. Für den Forscher war die Entdeckung ein unerwarteter Glücksfall, für seine nordirische Doktorandin Jocelyn Bell der Lohn für akribischen Fleiß. Pulsare (pulsating radio source) sind keine pulsierenden, sondern rotierende, magnetische Neutronensterne. Die Kugeln haben etwa die Masse der Sonne, aber nur einen Durchmesser von 20 bis 30 Kilometer. Sie entstehen bei Supernovae-Explosionen. Der ungeheure Druck des explodierenden Riesensterns presst den verbleibenden Kern so stark zusammen, dass sich Protonen und Elektronen zu Neutronen vereinigen. Ihre Dichte entspricht deshalb der von Atomkernen oder dem Einhundertbillionenfachen der der Sonne.Leuchttürme im WeltallSie rotieren konstant mit bis zu 100 Umdrehungen je Sekunde. Das mitrotierende Magnetfeld beschleunigt geladene Teilchen in die Atmosphäre. Diese emittieren Radiowellen, deren Stärke an den magnetischen Polen besonders groß ist. Da die Pole nicht auf der Rotationsachse liegen, registrieren die Radioastronomen nur dann Impulse, wenn einer der Magnetpole zur Erde zeigt. Ein Pulsar blinkt deshalb in exakten Perioden wie ein Leuchtturm, aber wesentlich genauer. Die Schwankungen liegen unter 0,01 Millisekunden im Jahr.Im Jahr der Preisverleihung an Hewish begann Taylor damit, den Himmel systematisch nach Pulsaren abzusuchen. Unterstützt wurde er unter anderen von seinem Doktoranden Hulse. Es stand ihnen das 305-Meter-Radioteleskop auf Puerto Rico zur Verfügung, das größte seiner Art. 40 Pulsare konnten sie identifizieren, davon waren 32 bisher unbekannt. Sie maßen zunächst routinemäßig deren Pulsperiode. Dabei fiel ihnen sofort das sonderbare Objekt mit Namen PSR1913+16 auf. (PSR steht für Pulsar, die Ziffern für die Himmelskoordinaten.) Alle 0,059 Sekunden sendet der Pulsar auf der Frequenz 1408 Megahertz einen Radiopuls zur Erde. Seine Periode schwankt jedoch von Tag zu Tag um 0,08 Millisekunden. Das war sehr ungewöhnlich. Wie bei Hewish leistete auch hier der Doktorand die genaue Auswertung der Daten. Hulse stellte schließlich fest, dass sich die Schwankungen alle sieben Stunden und 45 Minuten wiederholen.Ein Labor am HimmelDen Forschern war die Bedeutung ihrer Entdeckung sofort klar. Sie hatten ein astronomisches Versuchslabor gefunden, mit dem sich Albert Einsteins (Nobelpreis 1921) allgemeine Relativitätstheorie experimentell überprüfen lassen sollte. Nach dieser Vorstellung verändern die extrem starken Gravitationsfelder eines Pulsars die Metrik des Raums. Der Raum als Träger der physikalischen Eigenschaften existiert in einer verallgemeinerten, riemannschen Geometrie, von der die gewohnte euklidische nur ein Spezialfall ist. Die Auswirkungen der veränderten Metrik — wie zum Beispiel die Lichtablenkung und die Periheldrehung des Merkurs — muss bei einem Neutronenstern sehr viel deutlicher sein.Die starken Schwankungen des Blinkens ließen zudem nur eine Erklärung zu: Es musste sich um ein Binärsystem, um einen Doppelstern handeln. Jahrelange Messungen haben das bestätigt. PSR1913+16 und sein geheimnisvoller Begleiter — möglicherweise ebenfalls ein Pulsar, dessen Radiowellen nicht zur Erde gelangen — kreisen umeinander. Ihr Abstand schwankt wegen der exzentrischen Bahnen zwischen etwa einem und knapp fünf Sonnenradien. Bewegt sich der Pulsar auf seiner Umlaufbahn in Richtung Erde, fliegen die Radiopulse in geringerem Abstand auf uns zu als bei der Bewegung von der Erde weg. Deshalb haben die Radiopulse im erstgenannten Fall eine kürzere Periode.Nach mehrjährigen Messungen gelang es Taylor, die Masse des Pulsars und seines Begleiters jeweils auf etwa 1,4 Sonnenmassen zu bestimmen. Auch die Verschiebung des Periastrons konnte Taylor berechnen. Das ist der Punkt der elliptischen Bahn, an dem PSR1913+16 seinem Begleiter am nächsten steht. Dieser Punkt wandert um den Begleiter wie ein Hula-Hoop-Reifen um den Körper. Das Phänomen weist auf die verschiedenen Gravitationstheorien hin. Isaac Newton hatte die von Johannes Kepler entdeckte elliptische Form der Planetenbahnen aus der Massenanziehung abgeleitet. 1820 zeige sich jedoch, dass die Bahnen des Uranus mit der Newton'schen Theorie nicht erklärbar waren. Der französische Astronom Urbain Le Verrier und sein englischer Kollege John Couch Adams hatten 1846 unabhängig voneinander vermutet, dass ein unbekannter Planet die Uranusbahn beeinflusse. Noch im selben Jahr entdeckte Johann Gottfried Galle von Berlin aus den Neptun. Newtons mechanische Gravitationstheorie feierte damit ihren letzten Triumph.Einstein hat Recht1859 begann die Morgenröte der Allgemeinen Relativitätstheorie. Le Verrier hatte entdeckt, dass der Merkur nicht in einer stationären Ellipse um die Sonne zieht. Der sonnennächste Punkt der Bahn, das Perihel, wandert um die Sonne, genau so wie das Periastron von PSR1913+16 um seinen Begleiter. Die Ellipse wird zur Rosette. Die Perihelverschiebung des Merkurs beträgt 43,11 Bogensekunden pro Jahrhundert. Das ist gering, lässt sich aber nicht mit Newtons Theorie erklären. Albert Einstein konnte es. Die Planetenbahnen weichen wegen der Raumzeitkrümmung von der Ellipsenform ab und es kommt zur Perihelverschiebung. Der Effekt sollte aber nur bei den sonnennächsten Planeten eine Rolle spielen. Die Verschiebung des entsprechenden Periastrons von PSR1913+16 ist mit 4,2 Bogengrad pro Jahr 35 000-mal größer als die des Merkurs. Sie bestätigt experimentell in hervorragender Weise die Allgemeine Relativitätstheorie.Der Doppelstern ist weiterhin begehrtes Astrolabor. Mit dem massereichen und schnellrotierenden System soll die Frage nach der Existenz von Gravitationswellen endgültig geklärt werden. Einstein hatte 1916 die Behauptung aufgestellt, dass stark beschleunigte, kosmische Massen durch das Abstrahlen von Gravitationswellen Energie verlieren. Nach dieser Theorie sollten die Umlaufbahnen und die Bahnzeit des Doppelsterns stetig schrumpfen müssen, da das System Energie in Form von Gravitationswellen abstrahlt. Seit Jahrzehnten wird mit großem experimentellem Aufwand, aber bisher ohne Erfolg, nach solchen extrem schwachen Wellen gesucht.Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie nimmt die Umlaufzeit des Doppelsterns 0,076 Millisekunden pro Jahr ab. Die beiden Partner kommen sich deshalb je Umlauf 3,1 Millimeter näher. Das sind 3,5 Meter im Jahr. In etwa 240 Millionen Jahren werden die beiden Sterne aufeinander stürzen. Taylor und Hulse haben diese Voraussage bestätigt. Das ist der erste indirekte und bisher deutlichste Beweis für die Existenz von Gravitationswellen.U. Schulte
Universal-Lexikon. 2012.